Sozialanthropologie

BA/MA them. Ringvorlesung: «Nähe und Distanz” – Positionen der Teilhabe»

Dienstag, 05.12.2023

Walter Benjamin fasste das Verhältnis von Nähe und Distanz als eine Dialektik von Spur («Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ») und Aura («Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft»). «In der Spur werden wir» nach Benjamin «der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.» Dieses Wechselspiel von Nähe und Distanz lässt sich auf verschiedene kulturwissenschaftliche und anthropologische Kontexte gewinnbringend übertragen. Es vermeidet eine einfache Dichotomie und verlangt nach konkreten Fallstudien. In der Vorlesung werden wir dafür verschiedene disziplinäre Perspektiven einnehmen. In der Kunstgeschichte sind Nähe und Distanz spätestens seit dem 18. Jahrhundert klassische Topoi in der Theorie der Bildbetrachtung. Von der Literaturwissenschaft und Theologie hat die Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert die Methoden des «close» oder «slow reading» entlehnt, dass in jüngster Zeit durch das Gegenmodell des «distant reading» ergänzt wurde. In der Sozialanthropologie sind seit Bestehen der Disziplin Fragen nach der eigenen, subjekttheoretischen Positionierung vis-à-vis eines «Anderen» zentral. In Vogelperspektiven, Panoramen, Überblicksdarstellungen, Kartografien, der Dokumentarfotografie oder der Ästhetik des Erhabenen hat Distanz eine entscheidende Funktion. Doch Distanz impliziert nicht notwendigerweise Unbeteiligtheit oder Indifferenz. Über den Begriff der Teilhabe (gr. methexis, engl. participation) wollen wir vielmehr dialektisch ergründen, wie Nähe und Distanz verschiedene Formen des (Dis-)Engagements konditionieren. Hierbei spielen moralische Konnotationen des Handelns eine wichtige Rolle, etwa in Situationen, die sich als «Annähern», «Aneignen», «Distanz wahren» usw. beschreiben lassen. Politische Fragen schließen unmittelbar an und werden über Figuren der Sicherheit und Stabilität (z.B. der Migration oder in konkreten Räumen, wie «safe spaces» oder «gated communities») analysiert. Über Figuren intimster Nähe und ambivalenter «proximity», etwa in Rollenzuschreibungen («Nachbar», «Nächster», «Anderer») werden in der Vorlesung Konzepte des Eigenen und der Alterität vorgestellt. Die Ringvorlesung gehört zu den Veranstaltungen, die die Forschungsergebnisse des SNF Sinergia-Projektes «Mediating the Ecological Imperative» in der Lehre vermitteln und in denen auch die PhD-Projekte erwähnt werden. Ausgehend von Kunstgeschichte und Sozialanthropologie, werden zusätzliche Gäste aus der Theaterwissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Umweltgeschichte und der Philosophie das breite interdisziplinäre Spektrum der Ringvorlesung erweitern. Die VL kann in beiden Fächern (Kunstgeschichte/Sozialanthropologie) angerechnet werden. Gestattet sind max. 2 Fehlstunden. Literatur: • Blumenberg, Hans: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979. • Ralph Ubl et al. (Hg.): Was aus dem Bild fällt. Figuren des Details in Kunst und Literatur, München: Fink 2007. • Schneemann, Peter J. (Hg.): Paradigmen der Kunstbetrachtung. Aktuelle Positionen der Rezeptionsästhetik und Museumspädagogik, Bern: Peter Lang 2015. • Slavoj ?i?ek, Eric L. Santner, Kenneth Reinhard: The Neighbor. Three Inquiries in Political Theology, Chicago: Chicago University Press 2006.

Veranstaltungsart:Vorlesung/Seminar
Dozierende(r): Prof. Dr. Michaela Schäuble
05.12.2023:14:15 - 16:00
Ort: Hauptgebäude
Hochschulstrasse 4
3012 Bern
2. Etage, 201

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